Wir sind Koch des Jahres

Der 1969 im Schwarzwald geborene Peter Maria Schnurr ist seit zehn Jahren Chefkoch des Restaurants Falco im Westin Hotel in Leipzig. Hoch über den Dächern der Messemetropole kochen er und sein Team täglich für die anspruchsvollen Gaumen der Gäste. Inzwischen wurde das Restaurant mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Außerdem darf der Patron und Maestro Peter Maria Schnurr die Auszeichnung „Koch des Jahres 2016“ tragen. Dieser von der Fachzeitschrift Gault Millau verliehene Titel gilt als die höchste Auszeichnung für Köche in Fachkreisen. Gründe genug also, um mit ihm ein Interview zu führen, und so traf Geschmackverstärker-Redakteur Martin Große den Chefkoch in seinem Restaurant.

Martin Große: Eine Frage zum Verständnis, was heißt eigentlich Küchenchef und Patron?

Peter Maria Schnurr: Der Patron ist in der Regel der Besitzer eines Restaurants. Das bin ich allerdings beim Falco nicht. Das Restaurant ist Teil des Westin Hotels, aber ich habe hier so viele Freiheiten, dass man mich quasi als Patron bezeichnen kann, wie es die Presse auch tut. Was sicher auch noch dahintersteht, ist, dass ich seit zehn Jahren immer noch mit meinen 22 hochmotivierten Mitarbeitern hinter dem Herd stehe. Ich glaube, ich bin einer der wenigen in dieser Liga, die tatsächlich noch kochen.

Wann haben Sie sich entschieden Koch zu werden?

Koch wollte ich schon relativ früh werden und habe mit 16 eine Lehre angefangen. Diese habe ich allerdings hingeschmissen, weil ich mir nicht sicher war, und habe dann eine kaufmännische Lehre begonnen. Aber so ein Bürojob war ebenso nichts für mich. Mit 20 war ich schließlich gefestigt genug, um zu wissen, was ich wollte. Ich habe dann ganz strukturiert von vorne angefangen, denn der Plan, in Richtung ‚de luxe‘ zu gehen, stand fest.


Wie ging es dann weiter?

Ich hatte das Glück, in einem Sternerestaurant meine Ausbildung machen zu können. Die Chance habe ich genutzt und mich nicht allzu dämlich angestellt. Ab einem gewissen Punkt braucht man sich dann auch nicht mehr zu bewerben. Wenn man dann zwei oder drei Jahre in einer Küche gekocht hat, dann reichte es zu sagen: ‚Ich würde gern mal in dem oder dem Restaurant arbeiten‘, dann griff der ‚Alte‘ zum Telefon und hat das klargemacht. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Der Ton in der Küche ist ein bisschen rau, und Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Aber wer seine Chancen nutzt, der kommt, ohne eine einzige Bewerbung schreiben zu müssen, sehr weit.

Sie erwähnen es – die Ausbildung zum Koch ist ziemlich hart, hatten sie zwischendurch auch mal keine Lust mehr auf den Beruf?

Also ganz so schlimm, wie es vielleicht früher war, ist es jetzt nicht mehr und war es auch zu meiner Zeit nicht. Ich habe 1989 angefangen zu lernen und keine Schläge mehr bekommen, und mit der Pfanne wurde auch nicht mehr nach mir geworfen. Mit Sicherheit war beides aber zehn oder zwanzig Jahre früher durchaus üblich. In der Küche geht es oft um Sekunden oder Minuten, und dann ist der Ton rau oder direkt, ganz einfach weil man keine Zeit für ausgefeilte Formulierungen hat, sondern die Sachen auf den Punkt geschehen müssen. Deswegen ist die Sprache klar und direkt. Man darf aus allen Geschehnissen auch kein Drama machen. Es geht in unserer Branche nicht um Leben oder Tod. Um es deutlich zu sagen. Es geht in der Küche nicht asozial zu. Das ist ein wichtiger Unterschied, aber der Ton ist rau. Logischerweise hatte ich da öfters den Punkt, an dem ich keinen Bock mehr hatte. Ich bin auch nur ein Mensch, und diesen Punkt hat jeder einmal, das ist völlig normal. Aber das ist an zwei bis drei Tagen im Jahr. Wenn das öfter geschieht, dann müsste man mal nachdenken.

Nach zehn Jahren als Koch im Falco dürfen Sie sich nun ‚Koch des Jahres 2016‘ nennen. Welche Bedeutung hat der Titel für Sie?

Das ist vor allen Dingen eine großartige Bestätigung für meine Arbeit. Aber erstens: Genauso geht die Auszeichnung auch an das ganze Team. Ich habe das schon an der einen oder anderen Stelle gesagt: „Wir sind Koch des Jahres“. Ohne mein Team wäre das nicht möglich, denn ich mache das alles nicht alleine. Zweitens ist es eine schöne Bestätigung dafür, über 26 Jahre, solange bin ich Koch, dem Gast immer das Beste zu bieten. Das kann eine Bratwurst sein oder ein Steak oder ein abgefahrenes Menü. Das ist egal. Es geht darum, das Beste zu bieten und auf Augenhöhe mit dem Gast zu arbeiten. 



In einem Interview sagten Sie: zwei Sterne sind Europaliga und drei Sterne Weltliga. Gibt es da wirklich einen so großen Unterschied?

Ja, das ist so. Es ist so, dass wir die zwei Sterne gehalten haben, das ist eine großartige Leistung, aber wir haben uns mit Sicherheit nicht von der Weltliga entfernt. Ich kann ganz gut einschätzen, was mein Team und ich hier jeden Tag leisten und was wir in der Lage sind, den Gästen zu präsentieren. Aber das haben andere zu entscheiden …

Wie groß ist der Unterschied zwischen zwei und drei Sternen?

Das merkt der Gast fast nimmer. Selbst wenn es geklappt hätte und wir hätten seit ein paar Wochen den dritten Stern, stelle ich mich ja nicht in Frage. Es ist eine Auszeichnung für eine gewisse Konstanz. Was diejenigen, die das entscheiden, stört, sind Kleinigkeiten. Davon darf man sich nicht irremachen lassen. Wir bleiben klar und unserer Linie treu. Das ist das Beste, was man machen kann. Das Entscheidende ist, dass es dem Gast schmeckt, und da spricht die Auslastung des Hauses für sich. Die Zeiten, in denen wichtige Auszeichnungen automatisch mehr Gäste generieren, sind auch vorbei. Viel wichtiger ist die Mund-zu-Mund-Propaganda.

Sie sprachen den beruflichen Stress an. Was machen Sie persönlich als Ausgleich?

Ich gehe während der Arbeit gerne an meine Grenzen. Aber das mache ich in meiner Freizeit nicht. Ich bin nicht der Typ, der in seiner freien Zeit mit der Stoppuhr um den See rennen muss, weil er einen neuen Rekord im Triathlon aufstellen möchte. Ich gehe gerne schwimmen und jogge ein bisschen. Meine wenige Freizeit verbringe ich am liebsten mit der Familie.



In Ihrem Buch „Cuisine Passion Légère“ geben Sie zahlreiche Ihrer Rezepte preis. In der Presse wird Ihre Küche mit Worten wie: „expressive Aromen und überraschende Produktallianzen“ beschrieben. Können Sie in einfachen Worten ihre Philosophie beschreiben?

Wir wagen eben Kombinationen, die andere nicht machen. Wir kombinieren ein Lamm mit frischem Apfel als Vorspeise und machen dazu noch eine Miso-Eiscreme. (Anm. d. Red.: Paste aus vegorenen Sojabohnen). Unsere Philosophie heißt außerdem, kompromissloser Zutateneinkauf. Das hat dann zwar alles seinen Preis, aber ich denke, wenn der Gast so viel für sein Essen bezahlt, dann muss man ihm auch das Beste dafür bieten.

Und alles, was wir servieren, ist mannigfach probiert und getestet und von uns für gut befunden. Wir machen eine kreative Küche, aber keine perversen Sachen wie südindische Ameisen in Schokoladensoße. Wir lassen uns von den Jahreszeiten leiten, aber machen keine regionale Küche. Wir wollen dem Gast immer das Beste bieten, aber so einen Unsinn, wie Erdbeeren im Januar zu servieren, die nach nichts schmecken, oder Felsquellwasser aus dem Amazonasbecken, das ist Unsinn. Das machen wir nicht. Man muss nicht alles machen, was in unserer bekloppten Welt möglich ist. Ich bin ein Freund der Vielfalt und der Abwechslung und nicht der Extreme.

Gibt es eine Geschmackkombination, an der Sie sich die Zähne ausgebissen haben?

Ja klar. Wenn man eine Weile etwas probiert hat und es nicht klappt, muss man es sein lassen. Ich bin zwar jemand, der sich Geschmackskombinationen sehr gut in der Theorie vorstellen kann, aber das reicht manchmal nicht. Ich wollte einmal etwas mit Kaffee und Fisch machen. Aber Kaffee hat so einen dominanten Geschmack, dass wir den nicht mit Fisch vereinen konnten. Das ist schmerzlich, aber man muss das akzeptieren, auch wenn vielleicht irgendwo ein Koch in einer Garküche steht und das täglich macht.

Entscheiden Sie allein, was auf den Tisch kommt?

Nein. Ich weiß, was ich will und habe bestimmte Vorstellungen. Die werden dann probiert und natürlich mit den Mitarbeitern besprochen. Dabei sind mir die Meinungen von meinen langjährigen Wegbegleitern sehr wichtig. Zudem machen die Mitarbeiter auch Vorschläge, die sehr wichtig sind. Die braucht man, ansonsten fährt man sich völlig auf einer Schiene ein – und das ist nicht mein Ding. Ich bin immer offen für andere Ideen.



Gab es schon einmal einen mäkelnden Gast?

(Überlegt lange) Ja und nein. Eigentlich nicht. Der Gast macht oft den Fehler, persönliche Geschmäcker mit der Arbeit der Küche zu verwechseln. Also er bestellt etwas, obwohl er diese oder jene Kombi eigentlich nicht mag. Dann regt er sich auf, weil es ihm nicht schmeckt. Das passiert ab und an. Ein Beispiel: Wenn der Gast absolut keinen Koriander mag und uns das nicht sagt, dann können wir auch nicht reagieren. Aber wenn jemand sieben oder acht Gänge bestellt, dann ist mit großer Sicherheit irgendwo Koriander enthalten, denn ich finde, dass Koriander ein ganz tolles Gewürz ist. Aus den meisten Beschwerden werden lustige Anekdoten, wie die von einem Gast, der sagte, dass er gern salzarm ist. Er bestellte sich einen Fischbraten mit Salzkruste und beschwerte sich …

Worauf achten Sie, wenn Sie im Urlaub sind und essen gehen?

Ich bin privat mit einem Brot und Schinken zufrieden. Ich gehe auch nicht zu Kollegen essen, denn ich möchte bei meinen Entscheidungen frei sein. Wenn ich bei einem Kollegen etwas brutal gut finde, besteht die Möglichkeit, dass ich es nachkoche. Ich bin freier, wenn ich die Konkurrenz meide … Ich gehe lieber mit meiner Familie mit einem Picknickkorb an den Strand, oder wir kochen in der Unterkunft.

Wer kocht bei Ihnen zu Hause?

(Lacht!) Ich nicht! Ich koche den ganzen Tag, da stelle ich mich nicht auch noch am Sonntag hin, das finde ich abstrus. Ich mache die Stullen für die Kinder, bringe den Müll runter und räume auf. Wenn es sein muss, dann mache ich eine Pasta mit ein bisschen Pfiff, dass es besser schmeckt als Miracoli. Aber das Kochen zu Hause nervt mich und macht mich aggressiv.

Herr Schnurr, vielen Dank für das Gespräch.