Über Humor, Ehemänner und die Zukunft

Im vergangenen Jahr feierten die Kiebitzensteiner, Halles Kabarett, ihr 50-jähriges Bestehen. Zur Gala im Steintor waren umliegende Kabaretts und Freunde wie die Kugelblitze aus Magdeburg oder die Pfeffermühle aus Leipzig, Matthias Brenner vom NT oder auch Oberbürgermeister Bernd Wiegand eingeladen. Redakteurin Anne-Marie Holze sprach mit Micha Kost, dem Leiter der Kiebitzensteiner, über das Erlebnis „Humor“, mitgeschleppte Ehemänner und die positive Zukunft.

Geschmackverstärker: Im Rückblick auf die Geschichte der Kiebitzensteiner – was war die „goldene Zeit“ des Kabaretts?

Verklärend gesehen war das natürlich vor dem Berliner Mauerfall 1989. Das ganze Jahr über wurde immer nur ein Stück gespielt, die Karten waren aber schon drei Jahre im Voraus ausverkauft. Da wusste noch niemand, was dann gespielt werden würde. Aber das war auch egal, denn Kabarett hatte eine Ventilfunktion inne. Der Kabarettist war angesehen. Karten wurden gegen Autoreifen oder sogar Trabanten eingetauscht. Das ist natürlich mit heute nicht mehr zu vergleichen. Für uns ist es schön, wenn wir abends eine gute Vorstellung haben, das Publikum Emotionen zeigt und wir somit Bestätigung für unsere Arbeit bekommen. Dennoch es ist natürlich schwer, den Saal voll zu bekommen.

Aber Erfolg hat ja nicht nur was mit Geld zu tun?!

Nein, gar nicht. Die Stimmung und die Bestätigung sind ebenso wichtig. Aber es ist natürlich auch nicht schön, vor einem leeren Saal zu spielen. Aber es gibt nirgendwo mehr nur ausverkaufte Häuser.

Hat sich die Mentalität vom Kabarett geändert?

Nicht unbedingt vom Kabarett, sondern von den Zuschauern. Jeder kann Fernsehen schauen und sich da Geschichten anhören. Der Großteil des Humors ist da abgesichert. Klar, auch durch das Internet. Das Erlebnis „Humor“ kann jederzeit erfüllt werden. Ansonsten hat sich das Kabarett nur insofern verändert, dass man sich fragt, worauf man sich beziehen kann. Was kann man als Szene anbieten? Das Publikum muss verstehen, worauf man anspielt. Das ist einerseits leichter, da allen alles zugänglich ist. Andererseits schwerer, weil es so ein großes Angebot gibt, dass man nicht weiß, wer was mitbekommen hat. Dann hat der Witz keinen Sinn. Deswegen ist es gut, etwas zu finden, was auch die Schnelllebigkeit überdauert.

Ihr habt schon in mehreren Spielstätten gespielt, kam eine besonders gut an?

Ich spielte noch im Turm. Der galt als schönste Spielstätte in Deutschland. Aber es war ein altes Gebäude und es war kaum Platz für die Kollegen hinter der Bühne. Immer noch kommen Leute und fragen, dass wir ja gar nicht mehr an der Moritzburg sind. Da sind wir schon seit 20 Jahren nicht mehr. Das ist dieses ältere Publikum, das meint, es müsse ja mal wieder zu uns kommen, es dann aber nicht tut. Weil sie auch teilweise denken, sie bekommen immer noch keine Karten.

Jedes Theater und Kabarett hat Probleme, junge Leute ins Publikum zu bekommen. Habt ihr Konzepte, was man dagegen tun kann?

Wir versuchen jetzt mit den Eintrittspreisen runterzugehen. Oder probieren neue Formate. Das ist unbedingt notwendig. Auch beim neuen Theater oder Puppentheater muss darauf verstärkt eingegangen werden, meiner Meinung nach. Das Thalia Theater unzuverselbstständigen war nicht richtig. Da wollen wir als Kabarett dagegenwirken. Das meint auch, dass wir aber von den Zuschauern abhängig und in der künstlerischen Freiheit beschränkt sind, weil wir nicht verschrecken wollen. Ein Konzept ist eben, über das Land zu fahren und zu den Leuten – jung oder alt – zu kommen, die sich für Theater interessieren.



Seid ihr mit dem Sitz im Palais S angekommen?

Ja, hier ist es klasse! Die Verbindung mit dem vorher oder hinterher Essengehen ist super. Das klingt simpel, aber ist so wichtig. Wir haben eine gute Bühne und einen schönen Zuschauerraum. Aber das Angebot der Gastronomie direkt an der Saale nebenan macht das Palais S zum perfekten Sitz.

Spielen noch Gründungsmitglieder bei euch mit?

Nein, die sind alle tot. Das älteste Mitglied ist Klaus Reichenbach und seit 1976 dabei. Er ist jetzt 86 und schreibt vor allem Texte für uns oder macht Abenddienste. Die Gründer des Kabaretts kamen damals von der Operette. Die waren keine Studenten mehr, wie das bei den Gründungsmitgliedern in Leipzig der Fall war, sondern waren schon gestandene Männer und Frauen.

Woher bekommt ihr eure Stücke?

Das sind natürlich zum einen Klassiker. Aber zum anderen schreiben wir alle auch eigene Texte oder Lieder, was der finanziellen Situation zugutekommt. Außerdem kaufen wir Texte dazu, um auch über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Was ist die Schwierigkeit dabei, eigene Texte oder Lieder zu schreiben?

Eigentlich schreiben wir politische Sketche. Am Ende muss es ein Witz sein, also eine Szene mit einer Pointe. Ich kann zum Beispiel schlecht Lieder schreiben. Klar, bei einem Witz hat auch jeder einen anderen Geschmack und man braucht es gar nicht mögen. Aber ein Feeling für Reime, was Lieder ja meistens ausmacht, habe ich eher nicht. Da muss man mehr Lyriker sein.

Aber musikalisch seid ihr alle?

Das muss man sein, wenn man an einem Kabarett ist. Wir arbeiten viel mit Gesang und Instrumenten auf der Bühne. Klar, es gibt auch Kabarettisten, die das nicht tun. Wir sind aber ein Ensemblekabarett und stehen nie allein auf der Bühne. Wir machen Live-Musik und schlüpfen in verschiedene Rollen. Man muss verschiedene Dialekte sprechen oder andere Ausdrücke annehmen können.

Euer Hauptaugenmerk liegt auf politischen Stücken. Wie setzt sich euer Spielplan zusammen?

Genau, wir haben politische Texte. Oder auch Klassiker wie Karl Valentin, die die Gesellschaft und Menschen beobachten, ähnlich wie Loriot. Das ist dann zeitlos und lässt sich übertragen. Wir haben aber auch Gesellschaftskabarett mit Themen wie zum Beispiel die Beziehung zwischen Mann und Frau. Aber wir wollen vor allem politische Satire.

Wie entscheidet ihr, was in den Spielplan kommt?

Manchmal tagesaktuell. Soweit das mit Stücken geht, die auch Monate oder Jahre funktionieren müssen. Wenn man ein Wahlprogramm auf die Bühne bringt, ist das vor der Wahl lustig, danach vielleicht nicht mehr. Weihnachtsprogramme sind auch temporär. Da funktionieren zeitlose Beobachtungen wie die von Loriot besser. Das kann auch altmodisch klingen, aber das sind Klassiker. Ansonsten entscheiden wir alle ganz demokratisch und überlegen zusammen, welches Genre fehlt: politische Satire oder humorige Texte. Und dann nehmen wir das auch alle als Aufgabe, solche Texte zu schreiben oder zu suchen.



Was ist im Vergleich zu anderen Kabaretts in eurem Programm gut?

Besonders gut ist, dass wir – auch wenn wir alle im „Osten“ relativ gleiche Stücke bringen – eben diese Genreaufteilung haben. In Politik, Satire, Klassiker oder einfach nur Humor.

Wurdet ihr schon mal von den Reaktionen der Zuschauer sowohl positiv als auch negativ überrascht? Kam ein Stück wider Erwarten gar nicht an?

Immer! Man weiß selten, ob eine Szene dem Publikum liegt. Einmal total gut, das nächste Mal gar nicht. Das kommt auch auf die Stadt an, manchmal läuft es woanders, zu Hause wiederum nicht. Das ist wirklich schwierig. Man weiß auch nicht, warum die Leute ins Kabarett kommen. Geht der Ehemann vielleicht nur mit, weil er muss, sitzt nur da und findet dann nichts lustig? Und wir denken, jemand kam und ist nun unzufrieden. Oder jemand kann es vielleicht auch nur nicht äußern, und man sieht es ihm nicht an, dass er es lustig findet. Bei uns gibt es nicht die Abgrenzung zum Publikum, wie es im Theater meistens der Fall ist. Wir arbeiten direkt mit dem Publikum und kriegen so auch Reaktionen direkt mit. Der direkte Kontakt zum Publikum ist immer da. Das ist auch wichtig.

Gibt es Planungen für Zusammenarbeiten mit anderen Kabaretts oder Theatern?

Eine Zusammenarbeit mit dem neuen Theater ist vom Intendanten Matthias Brenner angestrebt. Wir arbeiteten schon einmal administrativ im Puppentheater zusammen. Es geht darum, Strukturen zu nutzen, die das Theater hat und wir uns immer erkämpfen müssen, weil wir keine direkten Bürozeiten haben. Wir machen alles neben dem Stehen auf der Bühne ehrenamtlich. Das macht vieles problematisch. Ansonsten gibt es nicht so viele Kabaretts in der östlichen Region Deutschlands, und wir kennen uns und rufen uns auch schon mal an oder feiern zusammen Kabarett-Geburtstag. Aber gemeinsame Projekte sind nicht geplant.

Ihr macht vieles ehrenamtlich – habt ihr auch noch andere Jobs?


Nein. Das ist das Problem der freien Künstler. Wir als Verein verteilen ehrenamtliche Aufgaben, wie Zuständigkeit für die Werbung oder Marketing, und werden dafür aber nicht explizit bezahlt und haben auch nicht immer die besten Voraussetzungen dafür. Niemand hat zu Hause ein Werbestudio. Ich bin seit 20 Jahren dabei, habe die Leitung der Kiebitzensteiner seit zehn Jahren inne und verdiene mein Geld aber nur, wenn ich abends auf der Bühne stehe. Wir spielen Freitag, Samstag und manchmal Sonntag. Du kannst dir ausrechnen, was dabei rumkommt. Wir sind abhängig vom Erfolg auf der Bühne. Wir konnten jetzt aber die Gagen ein bisschen anheben.

Weil ... ?

Ab diesem Jahr kriegen wir eine Spielstättenförderung der Stadt im Rahmen der Förderung für freie Theatergruppen. Das ist uns so wichtig, dass das in den nächsten Jahren weitergeführt wird. Dadurch haben wir zumindest ein wenig Planungssicherheit. Und es ist eine Wertschätzung der Arbeit, die man leistet. Wir bekommen aber auch finanzielle Unterstützung vom Land, da wir uns für Kultur auf dem Land verpflichtet haben und Gastspiele auch in kleineren Orten machen. Vor Kurzem haben wir in Teicha gespielt. Das war ein totales Highlight, auch wenn der Ort nur zehn Kilometer von Halle entfernt ist. Manche Menschen fahren eben auch das nicht mal schnell mit dem Auto. In der Planung solcher Gastspiele weiß man aber nie, ob da jetzt zehn oder neunzig Leute kommen.

Das klingt doch nach einem guten Weg in die Zukunft. Micha, vielen Dank für das Interview.