Weitergeben statt wegwerfen – Wie schrumpelige Möhren im Fairteiler eine zweite Chance bekommen

Mehr als 18 Millionen Tonnen – so viele Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll. Das entspricht einem Drittel unseres Nahrungsmittelverbrauchs, wie der WWF in einer 2017 erschienenen Studie betonte. Wie lässt sich die Verschwendung verhindern? Foodsaver Julian Freytag gibt einen Einblick in die hallesche Nachhaltigkeitsszene.

Text: Daniela Schulze

Genuss und Verantwortung gehören zusammen, findet Julian Freytag. Deshalb ist er im Oktober 2016 Foodsaver geworden. So heißen Leute, die für die deutschlandweite Initiative Foodsharing Lebensmittel retten, die ohne ihren Einsatz im Müll landen würden. Warum er sich für schrumpelige Möhren und trockene Brötchen engagiert? „Lebensmittelverschwendung ist eine riesige Sache. Als Foodsaver kann man kann da unbürokratisch viel bewegen“, erzählt er. Seit dem Wintersemester 2017/18 studiert Freytag an der Martin- Luther-Universität. Als er hier ankam, war die Gruppe mit etwa 10 bis 20 aktiven Mitgliedern noch relativ klein, heute sind es ungefähr doppelt so viele, die sich regelmäßig engagieren.

Fair..was?

Die Lebensmittel, die Freytag gemeinsam mit anderen aktiven Foodsavern bei regionalen Geschäften und Bäckereien retten, landen im sogenannten Fairteiler, einem öffentlich zugänglichen Regal, an dem sich jeder bedienen kann. Rund um die Uhr ist es dort möglich, etwas abzuholen. Aber was darf überhaupt rein? „Wichtig ist, dass man nur Sachen abgibt, die noch genießbar sind. Das Mindesthaltbarkeitsdatum spielt keine Rolle. Wenn man selbst denkt, das könnte ich noch essen, kann man es reinlegen, wenn nicht, sollte man es lassen“, erklärt Freytag. Produkte wie Milch, Käse und Fleisch, bei denen die Kühlkette gewahrt werden muss, haben Hausverbot und dürfen nicht in den Fairteiler. Auch bereits gekochte Mahlzeiten und Medikamente müssen draußen bleiben. „Ansonsten ist es wie ein öffentliches Bücherregal, du kannst reinlegen, was du willst.“



Lebensmittel kommen aus regionalen Geschäften

Momentan holen die Foodsaver meist täglich Lebensmittel ab. Zehn Betriebe sind es aktuell, die sich im Kampf gegen die Verschwendung mit der Initiative in Halle verbündet haben. „Die Sensibilität wächst. Viele erkennen inzwischen, dass zu viel weggeworfen wird“, berichtet Freytag. „Wir hatten jetzt sogar schon ein paar Mal den Fall, dass Betriebe auf uns zugekommen sind, u.a. aufgrund der Facebookgruppe, und uns gefragt haben, ob wir bei ihnen abholen können.“ Namentlich nennen darf er die Unternehmen aber nicht. So ist es in der schriftlichen Vereinbarung festgehalten. Vertraglich vereinbart ist auch, dass die Haftung für die Lebensmittel bei der Foodsharing-Gruppe liegt. Den Betrieb entstehen so keine Nachteile, wenn sich doch mal jemand den Magen verdirbt.

Warum der Fairteiler umziehen musste

Der Fairteiler im Innenhof des Juridicums musste jedoch im März 2018 weichen. Damals sorgte ein Streit zwischen dem Studierendenrat (Stura) und der Uni für Schlagzeilen. „In der Vergangenheit gab es wiederholt Probleme mit verdorbenen Lebensmitteln, der Müllentsorgung und der Ordnung in diesem Bereich“, wird Uni-Sprecherin Sarah Huke auf mz-web.de zitiert. „Zudem liegen dem Rektorat mehrere Nutzerbeschwerden wegen Verschmutzung vor. Auch Spezialreinigungen, die durch die Fachabteilung veranlasst wurden, konnten die Situation nicht verbessern“. Freytag kann die Kritik teilweise nachvollziehen – hält den Entschluss der Uni, den Fairteiler zu verbannen, jedoch für überzogen: „Man hätte die Probleme relativ leicht lösen können, wenn von Seiten der Uni der Wille da gewesen wäre.“

Noch nicht bereit für Foodsharing?

Begleitet wurden die Verhandlungen des Sturas mit der Uni von einer Online-Petition. 1.695 Menschen haben für den Verbleib des Fairteilers am Uniplatz unterschrieben. Die geforderten 2.000 Stimmen wurden jedoch leider nicht erreicht. Eine Userin kommentierte: „Der Fairteiler ist eine der besten Dinge, die Halle in Sachen fortschrittlicher Umgang mit Lebensmittelüberschuss/-verschwendung passiert ist. Ein Wegfallen würde nur wieder bestätigen, wie schwer es öffentlichen Einrichtungen und vielleicht auch der Gesellschaft allgemein fällt, sich entgegen der ‚Norm‘ für etwas einzusetzen.“ War die Uni Halle im letzten Jahr noch nicht bereit für Foodsharing? Freytag meint: „Ich würde nicht sagen, dass die Uni noch nicht bereit ist, aber die Aktion hat uns gezeigt, dass die Ordnungs- und Regelliebe größer war als der Wille zur Nachhaltigkeit. Das hat uns schon sehr enttäuscht, immerhin schreibt sich die Uni Nachhaltigkeit an diversen Stellen auf die Fahne.“



Vom Uniplatz aufs Stiftungsgelände

Nachdem der Fairteiler am Uniplatz dicht gemacht wurde, hat die Gruppe zunächst improvisiert und die geretteten Lebensmittel an öffentlichen Orten in Halle verteilt. Bereits seit geraumer Zeit bestand jedoch Kontakt zu den Frankeschen Stiftungen. So gelang es schließlich, auf dem Stiftungsgelände einen neuen Fairteiler aufzustellen. „Wir haben uns gefreut, weil das ein guter Standort in Richtung Südstadt war“, erinnert sich Freytag. „Auch wenn der Fairteiler nicht so stark frequentiert wird, wie der auf dem Campus.“

Foodsharing ist bestenfalls ein Mehrgenerationenprojekt

Neben dem Fairteiler in den Franckeschen Stiftungen gibt es seit letztem Frühjahr noch einen zweiten am Hühnermattan, Nähe Steintorcampus, und einen dritten mit Kühlschrank, der vom Peißnitzhaus betrieben wird. Die Gruppe ist froh darüber, dass die Fairteiler geografisch so gut in Halle verteilt sind. „Uns ist wichtig, dass nicht immer nur die gleichen Leute vorbeikommen“, erklärt Freytag. „Wir wollen bewusst nicht nur Studis ansprechen, sondern ganz unterschiedliche Leute: Familien mit Kindern, Bedürftige – alt, jung, arm, reich.“ Foodsharing soll bestenfalls ein Mehrgenerationenprojekt sein.

Überraschendes Comeback des Fairteilers am Uniplatz

Fast genau ein Jahr ist der Umzug auf das Gelände der Franckeschen Stiftungen nun her. Die Gruppe hat sich mit der neuen Situation arrangiert und das Interesse am Retten von Lebensmitteln ist so groß wie nie. Unerwartet hat sich auch in Richtung Uni etwas getan. Seit dem Sommer gibt es mit Christian Tietje einen neuen Rektor, der laut Freytag offener für die Ideen der Gruppe sei. „Der Stura hat uns die Nachricht zukommen lassen, dass es in absehbarer Zeit wieder einen Fairteiler auf dem Campus geben soll“, berichtet Freytag zuversichtlich. Wann und wie sei noch nicht klar, aber wahrscheinlich wird er sogar in den Innenhof des Juridicums zurückkehren. „Wir sind guter Dinge, dass das bis zum Sommer klappt.“

Offline und online gegen die Verschwendung

Finanziert werden soll der neue alte Fairteiler u.a. mithilfe der Förderung der Bürgerstiftung Halle. Mit 200€ unterstützt sie die Gruppe in diesem Jahr bei ihren Vorhaben gegen die Verschwendung. Das Geld soll außerdem in Vernetzungstreffen investiert werden: „Wir wollen, dass sich die Nachhaltigkeitsszene in Halle besser kennenlernt und vernetzt, denn es gibt schon viele gute Initiativen, wie beispielsweise Crummes Eck.“ Online ist die Community über die Website foodsharing.de und über Facebook vernetzt. Die Facebook-Gruppe „foodsharing Halle (Saale) – Die Essensretter“ ist aktuell bereits fast 5.000 Mitglieder-stark und erfreut sich regen Zuwachses. Ein gutes Zeichen – denn den Kampf gegen die massenhafte Verschwendung können einzelne Foodsaver wie Julian Freytag nicht alleine gewinnen.

"Foodsharing ist eine 2012 gegründete, internationale Initiative gegen die Lebensmittelverschwendung." "Über 300.000 Nutzer sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz registriert. Über 50.000 von ihnen, sogenannte Foodsaver, retten schon aktiv in ca. 5000 Betrieben. So konnten bisher schon fast 23 Mio." "Kilogramm Lebensmittel vor der Tonne bewahrt werden. Mehr Zahlen und Infos zur Bewegung und zum" "Mitmachen gibt es auf foodsharing.de."