In Übersee ist sie ein Star, aber in Halle kennt man sie kaum - Mad C

Ein Star ist eine prominente Persönlichkeit. Der Begriff bezieht sich auf Schauspieler, Musiker, Sportler oder Politiker. (Wikipedia) Weiter könnte man sagen, ein Star wird auf der Straße erkannt, die Menschen drehen sich nach ihm um, und eventuell muss der Star seinen Fans noch Autogramme geben. Wenn man Claudia Walde durch Halle laufen sieht, beobachtet man keine Menschen, die sich nach ihr umdrehen, sie erkennen oder gar Autogramme haben möchten. Und wenn man Claudia Walde ein wenig kennengelernt hat, weiß man, dass ihr diese Normalität wahrscheinlich auch ganz lieb ist.

Ich treffe sie im Hinterhof eines alten, fast ruinösen Atelierhauses in der Nähe des halleschen Bahnhofes. Sie sitzt vorsichtig lächelnd mit einer Schale Obstsalat in der Hand in einem grauen Mazda und fragt, ob wir verabredet sind. Ihre braunen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sie ist klein, hat braune Augen und wirkt fast ein wenig unscheinbar. Irgendwie passt dies noch nicht mit dem zusammen, was das Internet, Freunde und die Fachpresse über die gebürtige Bautzenerin erzählen. Erst als wir ihr Atelier betreten, verwandelt sich Claudia Walde in Mad C – die Frau, die in der Sprayerszene auf der ganzen Welt bekannt ist, die mancherorts Autogramme geben muss und Personenschützer braucht – also ein Star ist? Selbstbewusst setzt sie sich auf einen Stapel Dosen und beginnt zu erzählen.


Ihre Kindheit verbrachte Claudia in Afrika, ihr Vater betreute als Ingenieur einer deutschen Firma Kunden vor Ort. Nach ihrer Rückkehr fühlte sie sich oft wie eine Fremde und entwickelte eine Leidenschaft, die ihr späteres Leben bestimmen sollte – Fernweh. Während sie im kleinen Bautzen ihre Jugendjahre verbrachte, entdeckte sie ihre zweite Leidenschaft – das Malen.  Angefangen hat sie mit Buntstiften im Büro ihres Vaters und mit Aquarellen. In der Pubertät kam Claudia dann mit der kleinen Hip Hop- und Sprayerszene des östlichen Sachsens in Kontakt und entdeckte ihre Liebe zur Spraydose – ihrem Pinsel, ihrem Arbeitswerkzeug, das ihr einen Kosmos öffnete und später ermöglichen sollte, ihre andere Leidenschaft Fernweh zu leben.



Mit der Dose in der Hand reiste die kaum erwachsen gewordene Sprayerin gemeinsam mit einem Freund zunächst durch deutsche Städte. In Szeneläden gab man sich Tipps, wo legale Wände zum Sprühen zu finden waren, fragte nach einer Couch zum Schlafen und nach dem nächsten Szenetreff. So hinterließ sie mit 19 Jahren gemalte Spuren in ganz Deutschland. Nachdem Germany zu klein geworden war, ging es nach Prag, Wien und zu anderen europäischen Nachbarn. Ihre Freunde waren es schließlich, die ihre Bilder an die einschlägigen Magazine schickten, und dort wurden diese auch sofort abgedruckt. So wurde der Name Mad C in der Szene langsam bekannt, und es folgten Einladungen zu größeren Events. Als 25-jährige setzte sie sich gegen 3.500 Bewerber durch und ergatterte ein Stipendium der Pall Mall Foundation in New York – dem Mekka für alle Sprayer, dem Ort, wo im Sommer 1970 mit Taki 183 alles begann. In der Hauptstadt des Graffiti traf sie auf Lady Pink und andere Urgesteine der Szene und wurde sehr zu ihrer Begeisterung und Verwunderung von diesen mit offenen Armen empfangen und zum gemeinsamen Arbeiten eingeladen. Wie in Deutschland hinterließ sie nun eine bunte Graffitispur in vielen Städten der amerikanischen Ostküste.

Ihre aufwendigen Bilder kamen bei den unterschiedlichsten Betrachtern gut an. Im Rahmen des Stipendiums malte sie auch in einem Latinoviertel und kam in Berührung mit einer Latinogang, deren Mitglieder an ihrer Art und Weise zu malen Gefallen fanden. Und so durfte sie mit ihnen in deren Viertel sprühen und lernte Orte kennen, die man als normaler Tourist nie sehen würde. Sie wurde von den harten Jungs beschützt, geachtet und von den Bewohnern des Viertels zum Essen eingeladen. So entdeckte das Mädchen aus Bautzen schließlich in New York ihren Lebensstil, den sie fortan verwirklichen möchte. Für Mad C bedeutete das vor allem malen, reisen und damit irgendwie Geld verdienen. Die Stadt zeigte ihr, dass das möglich ist.



Zufälle führten oft zu neuen Aufträgen: Sie bemalte eine Wand in New York. Ein Tänzer, dem das Bild gefallen hatte, lotste sie über Bekannte zu einer HipHop-Convention nach Hawaii, und schließlich bemalte sie sein neues Tanzstudio. So ging es immer weiter. Die Zufälle häuften sich, und sie bekam immer mehr Aufträge. Ihr erstes Bild kaufte die rote Bank mit dem weißen S. Einladungen führten sie in den Libanon, nach Norwegen, Russland, Mexiko, Kolumbien, durch ganz Europa und Südafrika. Immer mehr interessierte sich auch szenenfremde Presse für das Talent aus Bautzen, und man kann sagen: der Plan ging langsam auf. Ihr Traum vom Leben voller Reisen wurde wahr und das Fernweh gestillt.

Durch ihre Gastgeber lernte sie Länder auf eine Art und Weise kennen, wie sie nie ein Tourist kennenlernen könnte. Sie übernachtete im Libanon bei Bekannten von Freunden, weil auf der Straße geschossen wurde und der Rückweg ins Hotel zu gefährlich war. In Kolumbien hatte sie das zweifelhafte Vergnügen, Bodyguards zu haben, die sie vor ihren Fans schützten, damit sie in Ruhe malen und in das Hotel laufen konnte. Da sie in Kolumbien eine Mauer besprühte, vor der sich eine mit Hundehaufen übersäte Wiese befand, besorgten ihr ihre rührigen Bodyguards Plastefolien als Untergrund, die sich beim genaueren Hinsehen als Bodybags (Leichensäcke) entpuppten. Mad C besprühte Busse in Norwegen, arbeitete für Amnesty International in Mexiko und bemalte, weil ihr danach war, eine Autowerkstatt mitten im Nirgendwo in Südafrika.



Und dann ist da noch die Sache mit der 700 Quadratmeter großen Wand und ihrer eigenen Farbkollektion beim Sprühdosenhersteller Molotow. Mad C lernte den Firmeninhaber von Molotow, Jürgen Feuerstein, auf einer Graffitijam kennen. Dieses zutiefst schwäbische Familien- und Traditionsunternehmen gehört seit einigen Jahren zu den großen Markenfi rmen im Bereich Sprühdosen. Jürgen Feuerstein ließ sich von Claudia Walde, der inzwischen bekannten Mad C, überzeugen, ihr Großprojekt – die 700-Quadratmeter-Wand – zu sponsern. Um eine solche Fläche zu besprühen, benötigt man Farbdosen im Wert von zirka 10.000 Euro. Für die Wand, die in der Nähe von Halle zu finden ist, brauchte sie ein halbes Jahr, um dort ihren Traum zu verwirklichen. „Ein halbes Jahr, das ich nur mit der Unterstützung durch meine Familie so bestreiten konnte,“ erzählt sie mit leuchtenden Augen, denn das war ihr die Wand wert. Da sie für dieses Projekt die komplette Farbkollektion von Molotow versprühte, war sie nun quasi Expertin, und als sie dann vom Firmenchef gebeten wurde Vor- und Nachteile der Kollektion aufzulisten und zu beschreiben, was eventuell noch fehlen könnte, war der Schritt nicht mehr groß zu 65 neuen Farben – der eigenen Mad C-Reihe, die nach ihren Vorschlägen gestaltet wurde und von denen zwei Farben sogar ihren Namen tragen – „Mad C cherry red“ und „Mad C psycho pink“ – zwei Farben, mit denen andere Künstler nun weltweit arbeiten.



Kurze Zeit danach, erst mit Anfang 30, kam endgültig der Punkt, an dem sie sich entscheiden konnte von ihrer Kunst zu leben. Aufträge kann sie sich nun aussuchen, viele leitet sie an andere hallesche Künstler weiter, und ihre Werke sieht man nicht nur auf der Straße, sondern in Galerien in London (Foto London Warehouse), Amsterdam, New York, in der Schweiz und in San Francisco. Auch einen Manager hat die Szenekünstlerin fortan: Ihr Bruder, der bei der roten Bank mit dem weißen S arbeitet, ist Fachmann im Finanzwesen, und ihm vertraut sie ihre Geldgeschäfte an. Außerdem kümmert er sich um den Presserummel, denn die Anfragen überregionaler und ausländischer Magazine häufen sich immer mehr.

Auf die Frage, ob sie sich als Star fühlt, lächelt Mad C alias Claudia Walde gequält, aber es mischt sich auch ein bisschen Stolz in Lächeln und Antwort. Sie erzählt, dass sie in Berlin in einem Künstlerfachgeschäft vom Verkäufer angesprochen wurde, ob sie nicht Mad C sei. Überrascht bejahte sie diese Frage, und es scheint, als würde ihr diese Art Anerkennung guttun, ist sie doch Aushängeschild und Ausnahmetalent einer Kunstrichtung, der in Deutschland nicht viel Wert beigemessen wird. Selbst sie wird an „ihren“ angemieteten Flächen von Vorbeilaufenden gefragt, ob das denn erlaubt sei, was sie da macht, erzählt sie. Kunst, über die sich in anderen Ländern Menschen freuen, gilt in Deutschland als suspekt, aber in Zeiten in denen Künstler Werke mit dem I-Pad gestalten, ändert sich vielleicht auch die Sicht der Deutschen auf die Graffitikunst.

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Mad C im Netz www.madc.tv