Der hallesche Salzbraten - von einem Halunken am Herd

In Halle wohnen drei Sorten von Menschen, heißt es. Dies sind Halloren, Hallenser und Halunken. Die Halloren sind die Salzsieder und die Mitglieder der Bruderschaft. Die Hallenser sind die hier Geborenen und zu den Halunken gehören all die Zugezogenen. Ihnen begegnen die beiden ersten Gruppen häufi g mit Vorbehalten, aber wenn das Eis einmal gebrochen ist, dann öffnet der Hallenser sein großes Herz, zeigt sich von seiner besten Seite und lässt es zu, dass der Halunke die schönen Seiten der Stadt kennenlernt. Dies führt dann in den meisten Fällen dazu, dass die Halunken diejenigen sind, die „ihre“ Stadt am härtesten verteidigen und am meisten lieben. Unter Studenten heißt es auch: Wenn du nach Halle kommst, weinst du zweimal. Zum ersten Mal, wenn du hier deine einzige Zusage zum Studienplatz bekommst, und zum zweiten Mal, wenn du wieder gehen musst, weil du hier keine Arbeit fi ndest.“ Einer dieser Halunken ist Frank Lößner, Chefkoch des Dorint Hotels Halle. Er ist sogar ein Halunke mit Leipziger Migrationshintergrund und auf einigen Umwegen an die Saale gekommen.

Am Herd schwitzend, mit Messer, Pfanne und Gewürzen jonglierend, erzählter in der kleinen Küche des großen Dorint Hotels seinen Weg nach Halle.Während er spricht, andere Köche anleitet, mir die Küche zeigt, ich im Wege rumstehe, entsteht mit sicheren Handgriffen ein Salzbraten, den es zu besonderen Anlässen, bei denen auch die echten Hallenser – die Halloren – anwesend sind, im Hotel gibt. Der Salzbraten ist eine hallesche Spezialität, die typisch für die hiesige Küche ist. Wohl auf Grund des Salzes und der damit verbundenen schweren Arbeit war der Tisch in der Vergangenheit häufi g mit Tellern voller gepökeltem und gesalzenem Fleisch, wie die Schüsselwurst, Rollbraten oder hallescher Erdkartoffelsuppe, gedeckt. Dazu gab es kräftiges Backwerk und Süßes aus der ältesten Schokoladenfabrik Deutschlands. Dies alles sprudelt aus dem energischen Mittfünfziger heraus, während er einen Schweinehals mit Gehacktem und Backpflaumen füllt, ihn würzt und abschließend mit Hallorensalz einstreicht. „Das gibt eine schöne Kruste.“, erklärt er schmunzelnd.

Zwischendurch gibt er noch schnell ein paar Anweisungen, spricht mit einem Lieferanten und klärt mich über die Schautafeln an der Wand auf. Dort hängen Fotos von den Gerichten der aktuellen Karte, welche bis ins Detail zeigen, wie Lößners Kreationen auszusehen haben – und daran haben sich alle zu halten, gibt er unmissverständlich zu verstehen. Während der Schweinehals im Ofen verschwindet und bei 78 Grad Kerntemperatur seinem Verzehr entgegenschmort, schweift Herr Chefkoch beim Umrühren einer Suppe ab: „In meiner Familie haben wir schon immer gern gekocht. Besonders zu Hochzeiten, Geburtstagen und anderen Anlässen stand ich mit meinem Vater in der Küche. Aber eigentlich war es immer nur Hobby in der Familie.“



Vom Halunkenjäger zum Koch

Denn Lößner war, wie seine Kinder es heute noch sind und wie sein Vater und Großvater es waren, ein Halunkenjäger – ein Hauptmann der Kriminalpolizei. Viele zugezogene oder nicht zugezogene Leipziger, die mit dem Gesetz in Konflikt gerieten oder geraten, bekommen es bis heute oft mit einem der Lößners zu tun. Ein Beruf, der ihm auch viel Spaß machte. Doch wie bei vielen Menschen seiner Generation kam es mit dem Fall der Mauer in seinem beruflichen Leben zu erheblichen Veränderungen und damit auch zu Brüchen im Lebenslauf. Da Lößner nicht jede Entscheidung mittragen wollte, beschloss er, Anfang der Neunziger mit Mitte Dreißig noch einmal von vorne zu beginnen. Eine Ausbildung zum Koch sollte es sein, denn er wollte sein Hobby zum Beruf machen.

Am Anfang dieses neuen Weges stand eine klassische Ausbildung über die Industrie- und Handelskammer, und ein erstes Highlight war, als er den „ganzen hohen Leuten in Bonn“ zeigen konnte, was Soljanka ist. Er bekochte den Bundeskanzler samt Entourage, wie später Halles zweitbekanntesten Menschen, Hans-Dietrich Genscher, der sich von ihm gern eine Suppe kochen lässt, wenn er in Halle ist. Nach Zwischenstopps, unter anderem im Leipziger Astoria und im Dorint Hotel Gera, ist Frank Lößner nun schließlich Chefkoch im Dorint Hotel in Halle. Während Herr Chefkoch das alles erzählt, hantiert er weiterhin mit Töpfen, Messern und Pfannen und beschreibt, worauf es ihm beim Kochen ankommt. „Fleisch ist Leben“, meint er auf meine Frage, woran man erkennen könne, dass der Braten durch ist. Dieser hat nämlich inzwischen den Ofen verlassen und kühlt dampfend in der kleinen Küche ab.

Ein prüfender Druck mit dem Daumen gibt ihm Aufschluss über den inneren Zustand. „Ich sage meinen Lehrlingen immer, dass sie sich ein Geschmacksgedächtnis zulegen sollen.“ Dies braucht man, und wenn man dann ein Stück Fleisch sieht und es befühlt, dann ist es wie bei einem Holzwurm (gemeint ist ein Tischler). Der weiß dann auch, was er aus dem Stück macht, wenn er es vor sich hat. Genauso verhalte es sich mit dem Fleisch, philosophiert er, mit dem Daumen auf dem Salzbraten herumdrückend. Der Braten scheint nun gut zu sein, denn er kommt unter das Messer. Die Kruste bricht leise, während das Fleisch sanft vom Messer abfällt. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, doch eine Frage brennt mir noch auf der Zunge. Ob im ganzen Anleitungs- und Lieferantengesprächswirrwarr noch Zeit für das Kochen bleibt, will ich wissen, da es in den zirka eineinhalb Stunden meines Besuches nebenbei so viele Fragen zu klären gab, dass an ein normales Kochen eigentlich nicht zu denken war.

Lößner überlegt dieses Mal lange, bevor er auf die Frage antwortet. Wir haben inzwischen im Restaurant zwischen den frühstückenden Gästen Platz genommen und vor jedem von uns dampft ein großer Teller mit Salzbraten – es ist noch Vormittag. „Naja, es ist weniger, als man denken könnte.“, lautet schließlich seine Antwort. „Es ist viel Anleiten und viel Management, aber wenn ich eine neue Karte mache, dann koche ich sehr viel.“ Wegen des vielen Stresses empfiehlt der Hallenser Halunke Frank Lößner, mir, während ich den sehr gut gelungenen Braten in mich hineinmampfe, den Stadtgottesacker als Ort, um Ruhe zu finden in der hektischen Umgebung. Aus demselben Grund geht der Halunke auch einmal im Jahr für eine Woche in das Kloster auf dem Petersberg, von dem ich noch nie gehört habe. Peinlich! 

Dort entstehen dann Geschichten, Gedanken und Philosophien für die engsten Vertrauten ebenso wie neue kleine Storys zu seinen Gerichten, die die Hallenser, Halunken und Halloren dann auf der neuen Karte lesen können...