Das ganze Tier oder nur Früchte - Paleo oder vegan - neue Ernährungstrends

Ob Paleo oder vegan, frutarisch oder flexitarisch – Ernährung hat heutzutage viel mit Ideologie und ethischem Verhalten zu tun, wobei oft die industrielle Lebensmittelproduktion kritisiert wird. Hier ein kleiner Überblick.

An einem Sommertag in Berlin. Im Veranstaltungszentrum „Neue Heimat“in Friedrichshain läuft die „Paleo Convention“. In alten Fabrikhallen sind allerlei Stände aufgebaut, an denen Kosmetik-Produkte und Müsli-Riegel, Snacks aus getrocknetem Fleisch und frische Kokosnüsse angeboten werden. Draußen auf einer Freifläche zwischen den Ausstellungshallen grillt man derweil vegetarische Burger und verkauft Pommes frites aus Süßkartoffeln. Es gibt auch pulled porc und gegrillte Makrelen. Am Stand eines Berliner Restaurants, wo freundliche junge Köche Tatar aus rohem Entenherz servieren, hängt ein Schild mit dem Spruch, der stutzig macht: „Der Respekt vor dem Tier gebietet es, dass es von Kopf bis Fuß genutzt wird.“

Einen Becher Brühe statt Donut und Kaffee

Der Spruch beschreibt eine der Grundideen von Paleo, das so etwas wie der neueste Schrei auf dem Gebiet der Ernährungstrends und Lebensphilosophien ist. Das Konzept: Wie unsere Vorfahren in der Steinzeit ernähren wir uns nur von dem, was die Natur uns bietet – und essen alles brav auf. Produkte unserer modernen Zivilisation wie etwa Getreide oder andere gezüchtete Pflanzen sind dabei ebenso tabu wie Zucker oder irgendwelche Zusatzstoffe und Geschmackverstärker. Vom Tier wird alles verwertet und nichts weggeworfen – und auch der letzte Knochen zur Brühe verkocht. Statt Kaffee und Donut zur Mittagspause einen Becher heiße Markknochenbrühe –das soll in New York derzeit ziemlich angesagt sein. Was wie eine moderne, urbane Spinnerei klingen mag, hat durchaus einen ernsthaften Hintergrund. Wir essen zu viel Zucker und ruinieren damit unsere Zähne und Gesundheit, warnen Experten. Die Massentierhaltung produziert billiges Fleisch im Überfluss, von dem dann ein erheblicher Teil auf der Müllhalde landet. Ernährungs- und Lebensphilosophien wie Paleo wollen auf solche „Fehlentwicklungen“ aufmerksam machen und gegensteuern.



Ideologie spielt eine wichtige Rolle

Ideologische oder irgendwie politische Entscheidungen und Haltungen stehen meist am Anfang neuer Ernährungstrends. Vegetarier essen nur Pflanzen und keine tierischen Produkte, weil sie das Töten von Tieren zum Zwecke der menschlichen Ernährung unerträglich finden – oder Fleisch einfach nur eklig. Von diesem Standpunkt gehtauch die vegane Lebensweise aus – aber mit noch weitergehenden Konsequenzen. Hier ist Verwendung tierische Produkte generell tabu – nicht nur bei der Ernährung, sondern auch bei Kleidung, Kosmetika oder Möbeln, wo dann beispielsweise kein Leder verarbeitet werden darf. Auch im Herstellungsprozess sind tierische Produkte tabu. Das gilt zum Beispiel beim Wein: Häufig werden heute tierisches Eiweiß oder Gelatine dazu verwendet, bestimmte Gerb- oder Trübstoffe im Wein zu binden und sie so zu entfernen. Ein auf diese Weise produzierter Wein kommt dem konsequenten Veganer allerdings nicht auf den Tisch.

Beim Frutarier wohl auch nicht, zumindest dann nicht, wenn die Weintrauben von der Rebe geschnitten wurden. Frutarier – in Deutschland soll die Zahl der Anhänger dieser Ernährungsphilosophie recht klein sein – stützen ihre Ernährung vor allem auf Obst und Gemüse. Das Grundprinzip dabei: Die Pflanze, von der wir uns ernähren, darf nicht zerstört werden. Für manchen Frutarier kommen daher nur solche Früchte in Frage, die vom Baum gefallen sind und nicht gepflückt wurden. Die ethische Haltung des Frutarismus ähnelt der des Veganismus, geht aber noch einen Schritt weiter: Demnach haben auch Pflanzen ein Recht auf Leben und sollen daher nicht der menschlichen Ernährung dienen – es sei denn, sie bieten uns Menschen bestimmte Teile wie Samen oder Früchte sozusagen selbst an.



„Clean eating“ ohne Zusatzstoffe

Ein anderer Ernährungstrend ist das „clean eating“. Wer das betreiben will, sollte möglichst auf industriell hergestellte oder verarbeitete Lebensmittel und Fertigprodukte verzichten. Statt also die tiefgefrorene Pizza aus dem Karton in die Mikrowelle zu schieben, sollte man lieber selbst den Teig kneten und frisches Gemüse als Belag verwenden. Auch hier steht gesunde Ernährung im Vordergrund: also saubere Lebensmittel möglichst in Bio-Qualität, gelegentlich auch Fleisch (aber nur von „glücklichen Kühen“). Lebensmittel, in denen Zusatz- oder Süßstoffe, künstliche Aromen und Ähnliches enthalten sind, stehen auf dem Index. Und für den Durst empfehlen die Erfinder dieses Trends hauptsächlich Wasser, während Softdrinks oder andere Mixturenverboten sind. Auch von Alkohol sollten „clean eater“ möglichst die Finger lassen.

Weniger strenge Regeln haben Flexitarier. Diesen Teilzeitvegetariern geht es eigentlichnur darum, den Genuss von Fleisch zu reduzieren. Sie essen also nicht jeden Tag Fleisch, sondern setzen auf überwiegend vegetarische Kost. Und soll es dann dochmal was vom Tier sein, dann natürlich in Bio-Qualität.



Gemeinsam ist allen Trends die Kritik an industrieller Ernährungsproduktion

Gemeinsamer Nenner vieler neuer Ernährungstrends ist die Kritik an den Auswüchsen heutiger, industrieller Lebensmittel-Produktion: am massenhaften Einsatz künstlicher Zusatzstoffe oder Aromen, an der Massentierhaltung mit Antibiotika und Turbomästungund an der Produktion von Überfluss wie dem sprichwörtlichen „Butterberg“,den keiner braucht. Ob die neuen Trends auch alle „gesund” sind, darüber wird inden jeweiligen Szenen und unter Experten indes heftig diskutiert. So wird etwa demFrutarismus die Gefahr einer Mangelernährung bescheinigt, weil sich dieses Konzeptauf zu wenige Produkte konzentriere.

Manches erscheint zudem eher als moderner Hype für das großstädtische Publikum. Nicht umsonst sind Konzepte wie „Paleo“ oder „clean eating“ mit der Empfehlung verbunden, viel für die körperliche Fitness zu tun. Und so tummeln sich auf Veranstaltungen wie der „Paleo Convention“ auch eher sportliche, körperbewusste, schlanke Menschen. Und dass ein geschlachtetes Tier möglichst vollständig verarbeitet wird, galt in Zeiten der Mangelernährung etwa nach dem Zweiten Weltkrieg als Selbstverständlichkeit und gehört – eigentlich – zum Berufsethos eines jeden Kochs. Dass das aber etwas mit der Würde des Tieres zu haben könnte – daran dürften zumindest Veganer heftige Zweifel haben.