Vegane Piraten entern Halles älteste Gaststube: Die Goldene Rose wird zur Gemüsekombüse
Ein blonder Junge, vielleicht gerade mal vier Jahre alt, steht im Eingang der Goldenen Rose. Über seinem schokoladenverschmierten Gesicht flattern kleine bunte Wimpel, auf denen die Buchstaben „Gemüsekombüse“ gemalt sind. „Das mit dem Namen war reiner Zufall“, erklärt Katharina Lindt, die nicht nur die Mutter des Schokogesichts ist, sondern auch eine der Initiatoren der Tomatenpiraten. Verschmitzt lächelt sie und erzählt, dass sie im Internet für ihre neu gegründete Gruppe nach Namen gesucht habe, die sich reimen. So sei sie erst auf Popeye und dann auf Tomatenpiraten und Gemüsekombüse gestoßen: „Zwei Reime sind drin und es passt thematisch“.
Im etwas schummrigen Licht der Goldenen Rose erkennt man schnell, worum es Lindt und ihren Mitstreitern geht: Essen. Und zwar vegan. Seit einem halben Jahr nun schon bitten sie interessierte und aufgeschlossene Esser zu einem veganen Brunch. Um die kleine Buffetecke direkt am Eingang tummeln sich denn auch jede Menge Menschen.
Und es gibt viel zu entdecken: Neben Sellerie-Apfel-Salat gibt es Linsenlasagne, Humus, Feldsalat mit Walnuss, verschiedenste Brotsorten und eine Vielzahl von Aufstrichen, wie Grünkernaufstrich, Zucchini-Kohlrabi-Aufstrich, Bohnen- Mandelmus oder aber leckeren Schokoaufstrich. Alles ist sichtlich mit Freude am Experiment angerichtet und es wird nicht nur auf die vegane Zubereitung sondern auch auf gesunde Zutaten Wert gelegt.
Verwendet werden möglichst nur Nahrungsmittel aus biologischem Anbau. Spaß solle man am Essen haben und sich kreativ beim Kochen ausleben. Dafür stellen sich die Tomatenpiraten einmal im Monat der Herausforderung, unbekannte Rezepte vegan zu kochen oder altbekanntes ohne tierische Produkte zuzubereiten. Die Resonanz ist so überragend, dass in der Regel das gesamte Essen um eins weggefuttert ist, beklagt Lindt lachend: „Wir brauchen unbedingt mehr Leute.“ Dann könnten sie expandieren und ihr Brunch zweimal im Monat anbieten.
Stephan Schirrmeister, der mit seinem Verein „HausHalten Halle“ die Goldene Rose seit 2010 betreibt, hat bestimmt nichts dagegen. Denn bis vor kurzem war der Gasthof noch eine ungenutzte Bauruine. Erst durch das Engagement des Vereins, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, erhaltenswerte Gebäude vor dem Abriss zu bewahren, erstrahlte die Goldene Rose wieder in neuem Glanz. Und das ist auch gut so, denn es handelt sich nicht um irgendeine Gaststätte.
Die Goldene Rose ist Halles ältester Gasthof. Erste Erwähnung fand er im Jahr 1479 als Ausspannhof für Händler und Salzkäufer. In den 80er Jahren rekonstruierte ein hallescher Betrieb das historische Gebäude und verwendete es als Klubhaus für die eigenen Bauarbeiter. Nach der Wiedervereinigung teilte die Goldene Rose jedoch bald das Schicksal so vieler historischer Bauten im Osten. Sie wurde einfach vergessen.
Nun ist seit September 2010 nach jahrelangem Leerstand und nagendem Verfall endlich wieder Leben in das alte Gemäuer eingezogen – und zwar kreatives. Nicht nur Freunde der experimentellen Küche wie Katharina Lindt und ihre Tomatenpiraten finden dort einen Ort der Betätigung. Neben Künstlern und schöpferischen Gestaltern der Burg, die mit ihren Ateliers die obere Etage bevölkern, finden in den gastronomischen Räumen regelmäßig Lesungen, Vorträge, Konzerte oder besondere Veranstaltungen wie der monatliche „Tanztee“ statt. Schirrmeister ist so beschäftigt, dass er – ebenso wie die Tomatenpiraten–Unterstützung gut gebrauchen könnte.
Wer hätte gedacht, dass Halles ältester Gasthof mal von Motownklängen einer Dionne Warwick beglückt wird oder sich Düfte von Zucchinikuchen und Obstpelmeni in der historischen Bohlenstube aus dem 16. Jahrhundert breit machen. Katharina Lindts Sohn ist es wurscht – er ist schon wieder am veganen Schokoaufstrisch zugange.